Hellada Stasinoglou: Ich bin ein Mensch, kein Müll
Hellada Stasinoglou, ein sechzehnjähriges Mädchen, das im Jahr 2020 nach Griechenland zog. Mit ihren Animationsfähigkeiten beschreibt sie die Probleme von Flüchtlingskindern sowie die jüngsten politischen und sozialen Veränderungen in Griechenland..
AP: Hellada, der Titel deines Werks lautet "Ich bin ein Mensch, kein Müll". Worauf genau nimmst du dabei Bezug?
HS: Mein vergrößertes Plakat ist ein Schrei gegen Rassismus, Intoleranz und alle Formen der Ausbeutung von Kindern, von Menschenhandel bis Sklaverei. Jedoch habe ich das Gefühl, dass die meisten Menschen dies komplett anders wahrnehmen. Viele Leute bleiben stehen und gratulieren mir, ohne die gesamte Botschaft verstanden zu haben. Sie isolieren und kommentieren nur die politische Dimension des Satzes “NO TRASH”.
AP: Was hat dich dazu veranlasst, ein Thema in Angriff zu nehmen, das sich auf drei Säulen basiert: Flüchtlinge, Kindheit und Jugend und Rassismus in Großstädten?
HS: Ich erlebe es jeden Tag. Als ich 2020 in Athen landete, konnte ich nicht glauben, was ich um mich herum sah. Ich bin in Shanghai und Montreal aufgewachsen, besuchte multikulturelle Schulen mit Mitschülern aus allen Teilen der Welt, und das, was ich hier im Herkunftsland meiner Eltern sah und las, ließ mich aus allen Wolken fallen. Vor allem den Kindern und Frauen wird großes Unrecht angetan. Aber Flüchtlinge sind ein Teil der Zukunft dieses Landes. Diese Kinder sind auch die unsere Kinder. Völlig zufällig befand ich mich in Griechenland in einer Zeit der großen humanitären Krise, aber auch des Wandels der Stadt selbst. Ich meine, dass sich die Menschen und die Umgebung ständig verändern. Überall herrscht Bewegung. Was für eine einzigartige Gelegenheit, eine eschichte zu erzählen? eine Geschichte zu erzählen?
AP: Wie bist du dazu gekommen, mit Filmanimationen zu arbeiten, und wie hast du dir die Kombination mit dem Plakat vorgestellt?
HS: Als ich in Kanada einen Kurs in Animationskunst belegte, wurde mir klar, dass ich jede beliebige Welt von Grund auf erschaffen kann. Ich habe die volle Kontrolle und bin frei, spontan zu sein. Tatsache ist, der Betrachter nimmt die Animation bewusster wahr. Da sie etwas abstrakt ist, muss der Betrachter die fehlenden Informationen selbst hinzufügen, er nimmt also spontan an der ganzen Sache teil. Er versucht, die fehlende Handlung zu ergänzen. Und sas ist mein erstes Ziel. Denn die Kunst soll zum Betrachter gehen und nicht umgekehrt. Der öffentliche Raum, insbesondere das griechische Licht, ist an sich schon hohe Kunst. Was gibt es Besseres, als meine Kunst im ganzen Land auf Flächen zu verbreiten, die niemand benutzt und die es überall gibt? Das alte technische Papierplakat kam und passte natürlich. Das Plakat ist ein traditionelles Medium der Aktivisten in der Stadt, so wie heute das Mobiltelefon. Da ich gerne verschiedene Dinge kombiniere und mit allem Interessanten experimentiere, beschloss ich, dass Augmented Reality all dies harmonisch zusammenbringen kann, indem es mir erlaubt, meine Geschichte auf eine völlig neue Weise zu erzählen und zu teilen.
AP: Bist du bei der Durchführung deines Projekts bisher auf irgendwelche Schwierigkeiten gestoßen?
HS: Die größte Schwierigkeit, mit der ich anfangs konfrontiert war, was im Grunde die Tatsache zu akzeptieren, dass einige Leute mein Plakat zerrissen und zerstörten. Und ich spreche nicht für die städtischen Angestellten, sondern offensichtlich für diejenigen, deren meine Wahrheit "stört". Aber ich habe schnell verstanden, dass diese flüchtige Dimension der Straßenkunst eine Bedingung ist, die einem vom öffentlichen Raum auferlegt wird. Jetzt gefällt mir die Vorstellung, dass ein völlig Fremder sich Zeit nimmt und mein Werk berührt. Natürlich sollte ich hinzufügen, dass mein Plakat, wenn es altert, auf einer symbolischen Ebene eine noch stärkere Botschaft vermittelt und mehr stört.
AP: Die fünf Episoden, die ich gesehen habe, basieren auf einer bestimmten Geschichte. Gibt es hier ein konkretes Szenario? Wenn ja, in wie vielen Episoden wird es abgeschlossen sein?
HS: Ich verbringe sehr viel Zeit mit dem Drehbuch. Es ist der wichtigste und kreativste Teil der ganzen Aktion. Ich weiß, dass das, was ich tue, noch nie
zuvor gemacht wurde, nirgendwo, also ist es eine Gelegenheit zum Ausprobieren und Experimentieren. Jedes Mal, wenn ich mir eine Episode ausdenke, muss ich Wege finden, die Geschichte zu erzählen und dabei alle Möglichkeiten nutzen, die mir die Werkzeuge der Augmented Reality bieten. Das bedeutet im Grunde, dass ich entscheiden muss, welche zweidimensionalen Elemente ich dem Zuschauer als dreidimensionale projizieren will und umgekehrt. Indem ich Elemente und Informationen nach vorne und in unseren physischen Raum bringe, verändere ich ihre Beziehung zur Realität des Betrachters. Auf diese Weise verwandelt sich die mobile Mülltonne in eine Installation, in der der Betrachter eine dynamische Rolle einnimmt. Wahrscheinlich kommt dies der Art und Weise nahe, wie das Kino in Zukunft sein wird. Mein Serienfilm handelt von zwei Flüchtlingen, HAYA und IZAR, aus dem Senegal und Syrien, die etwas jünger sind als ich.
In den folgenden Episoden werden sie beide als Opfer von Zuhälterei enden. Bis dahin (keine Ahnung, wann und was die letzte Folge sein wird) wird jede Folge von dem inspiriert, was ich lese und was um mich herum passiert. Sicher ist nur, dass sie für immer Freunde bleiben werden. Alles beginnt mit einem Flüchtlingsboot, das auf eine große leuchtende Stadt und eine fröhliche Skyline voller Feuerwerkskörper zusteuert. In der zweiten Episode versetzt uns eine Traumszene in die Psyche des Flüchtlings. In der dritten Episode kritisiere ich die Gleichgültigkeit des Staates und den Handel mit menschlichen Organen. Dann gehe ich auf die Beziehung zwischen Polizeiarbeit und Bildung ein. Die blutigen Ereignisse des letzten Jahres in Persien haben mich dazu inspiriert, gegen ein ungerechtes Gesetz Stellung zu beziehen, indem ich IZAR in einer Reaktionsbewegung ihr wunderschönes Haar frei in die Luft strecken ließ. Der Exarcheia-Platz, die Wohnungsausbeutungsringe und die Kindersklaverei stehen im Mittelpunkt der fünften Episode. Im Hintergrund, in einem weiteren Winkel, ist eine Stadt im Bauorgasmus zu sehen, eine Stadt von trauriger Gleichförmigkeit und Eitelkeit. Ich persifliere also alle Arten von Autoritäten und veralteter Rhetorik - mich selbst eingeschlossen. Ich lasse keine Gelegenheit aus, mich immer wieder über mich selbst lustig zu machen.
AP: Wie reagieren die Menschen, insbesondere die Kinder, auf dein Projekt? Erinnerst du dich an eine Reaktion oder eine Bemerkung, die dich besonders beeindruckt hat, irgendeinen Eindruck?
HS: Ich bekomme gemischte Kritiken. Die meisten stimmen meiner Plakatbotschaft zu, während andere finden, dass der Rassismus in Griechenland nicht da ist.
Ich komme mit vielen verschiedenen Gruppen ins Gespräch. Ich fühle mich nicht schüchtern oder eingeschüchtert, denn dies ist mein Projekt. Ich bekomme auch Interviews von einigen von ihnen, die ich vielleicht in den Dokumentarfilm, den ich vorbereite, aufnehmen werde. In jedem Stadtteil, in dem ich war, habe ich gesehen, dass die Jüngeren offener und bereiter sind, den Film zu scannen und zu diskutieren. Einige verfolgen die Geschichte auch in den sozialen Medien. Der interessanteste Kommentar kam aus der Türkei: Jemand schrieb, dass sich die Stadt durch diese Aktion in ein einziges Freiluftkino verwandelt, in dem wir aufgefordert werden, aus unserer Rolle herauszukommen. Jemand aus Volos meinte, dies sei eine neue Erfahrung der Komplizenschaft, die Gehen und Denken miteinander verbindet, während an anderer Stelle geschrieben wurde, dass sich die städtischen Informationen durch das vergrößerte Plakat auf den Mülltonnen vor unseren Augen verändern. Aber niemand ging auf die Hauptfrage ein, nämlich wie das Plakat dazu beitragen kann, dass sich die Dinge verändern. Ich denke, für die griechische Gesellschaft ist es dazu noch zu früh. Nach dem, was ich gelesen habe, hat das Medium Plakat in Griechenland keine große Tradition. Und die Kunst auf der Straße hat gerade erst begonnen, die ersten kleinen Schritte zu unternehmen, und natürlich, wer will sich schon mit einem 1000-Euro-Handy einer stinkenden Mülltonne nähern? Diese Snobs sind genau die, die mich stärker machen. Ihre Heuchelei gibt mir Recht, und so finde ich den Mut, weiter zu machen.
Photos: courtesy of the artist/© Hellada Stasinoglou