Zeichnung,  Bildende Kunst

GÜNTER LUDWIG: DIE LIEBE GEHT UNTER DIE HAUT

In den Jahren 2002-2004 schuf der deutsche Grafiker Günter Ludwig eine Reihe von Aktzeichnungen, welche die Inspiration der Dichterin Sarah Ines hervorrief. Im Jahre 2004 veröffentlichte er eine Auswahl dieser Zeichnungen und Gedichte in einem Album mit dem Titel "Liebe geht durch Haut" (Love goes through the skin). Die gleiche Publikation enthielt drei erotische Radierungen und einige ältere Zeichnungen zum gleichen Thema.

1-1 Deamon and human bending body. Charcoal, pastel, and acrylic on paper. Photo courtesy the artist/ © Günter Ludwig

Wer diese Sammlung sieht, lernt Ludwig kennen. Wenn ein Kunstliebhaber wenig oder gar nichts über sein Werk weiß, könnte die gesamte Serie oberflächlich als erotisch bezeichnet werden. Ludwig schuf die meisten dieser Zeichnungen in seiner Lebensmitte. Es war eine psychologisch turbulente von gesundheitlichen Problemen und persönlichen Verlusten geprägte Zeit. Ab diesem Zeitpunkt stand seine Kunst für alles bisher geopferte. Sie wurde der einzige Weg, um Schmerz, Trauer und widersprüchliche Gefühle nach außen zu tragen.

Mit Kohle, Pastell und Acryl arbeitete Ludwig direkt aus seinem Unbewussten heraus. Vor einem sich nach vorne beugenden nackten Körper (Bild. 1-1) steht der im Hintergrund dargestellte Dämon (Geist) als Alter Ego des Künstlers. Ein Alter Ego, der versucht, einem erschöpften Körper zu entkommen, der vor dem Grau der Kompromisse, des Konservatismus und der Unnahbarkeit kapituliert. Die kurzen roten Linien zwischen der nackten Figur und dem Dämon verdeutlichen den Grad der Spannung und der Angst, einer von der anderen sich lösenden Figur. Während die graue Farbe vom nackten Körper tropft und sich im Raum ausbreitet, sucht der Dämon (Geist) verzweifelt nach einem Ausgang.

1-2 Hengst vor einem menschlichen Körper. Kohlezeichnung auf Papier. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig

In dieser Zeichnung (Abb. 1-2) wird der Künstler zu einem Hengst, der vor einem abstrakten Körper steht und sein linkes Bein hebt, um in Aktion zu treten. Im Gegensatz zur vorherigen Komposition sind die roten Linien, die auf eine erhöhte Spannung und Angst hinwiesen, verschwunden. Da wir den oberen Teil des Tieres nicht sehen, sondern nur seine Vorderbeine und einen Teil seines Körpers, können wir davon ausgehen, dass der Dämon (Geist) in Verkleidung immer noch anwesend sein könnte. Bei der abstrakten Form direkt vor dem Hengst handelt es sich um einen menschlichen Körper nicht näher bezeichneten Geschlechts

2-1 Studie zum Gemälde Das letzte Abendmahl. Holzkohle, Pastell auf Papier. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig 

2-2 Figur der Venus von Willendorf, von allen vier Seiten gesehen, ca. 28.000-25.000 v. Chr., Kalkstein. 4 1/8" hoch.  Naturhistorisches Museum, Wien. Fotoquelle: Wikipedia

Instinktiv geht er zu einer so extremen Abstraktion über, dass er in den meisten seiner Zeichnungen die Gesichter und Köpfe seiner menschlichen Figuren ausblendet (Abb. 1-1, 1-2, 2-1). Ludwig strebt nicht nach Realismus. Die Behandlung gleicht dieser von Höhlenmaler bei der Darstellung seiner weiblichen Figuren (siehe Venus von Willendorf) (Abb. 2-2), bei der die Idee und der Symbolismus der weiblichen Figur wichtiger als die Darstellung der weiblichen Spezies sind.

Obwohl die Körper statisch sind, scheinen sie sich im Raum als fließende Formen auszubreiten und an einer ständigen physischen und emotionalen Interaktion teilzunehmen. Die Infusion seiner abstrakten Formen in den Raum erzeugt die Vibes eines non-verbalen Dialogs. Ludwig arbeitet schnell und interferiert ständig mit seinen Prototypen. Seine Methode erklärt im Grunde genommen, warum er in unseren langen Gesprächen seine Arbeiten immer wieder als Skizzen bezeichnet, auch diese, die veröffentlicht wurden.

3-1 Hände vor einer Vagina, Kohle, Pastell auf Papier.  Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig

In den verschiedenen Versionen ein und derselben Zeichnung steckt unbewusst jahrelanges Wissen und Experimentieren mit Druck, Gravur, Malerei und Fotografie dahinter. Die meisten der im Album enthaltenen Zeichnungen sind ursprünglich monochromatisch. Die modernen Druckverfahren der Bildnachbearbeitung boten Ludwig eine breitere Palette an kalten Farben an. Er trägt die Farben nicht auf die gesamte Zeichnung auf sondern behandelt diese eher als ein Werkzeug, welches die physische und emotionale Interaktion zwischen den Formen überbetont (Bild. 3-1, 3-2).

3-2 Hände vor einer Vagina, Kohle, Pastell, Acryl auf Papier.  Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig

4-1 Günter Ludwig, Searching inspiration. Charcoal, pastel, acrylic on paper Photo courtesy the artist/ © Günter Ludwig

Beim Durchblättern des Albums, fiel mir eine Gruppe von Zeichnungen auf, in denen der starke Einfluss des deutschen Zeichners und Grafikers Horst Janssen auf Günter Ludwig zu erkennen ist. Beide zeigen männliche und weibliche Geschlechtsorgane in Nahaufnahme, erigiert oder während des Sexualakts in einer oberflächlichen Weise, die eher symbolisch als ein Akt der Sexualisierung menschlicher Figuren charakterisiert werden kann. Unter der gleichen Symbolik fallen auch die helleren Farben, welche weit entfernt von der üblichen kalten Palette, die Ludwig verwendet sind. Die übertriebene Verlängerung von Armen, Beinen, Fingern (Abb. 3-1, 5-4, Hauptfoto) und Phallus (Abb. 4-1), die wir zum ersten Mal bei Egon Schiele (Abb. 4-2) sehen, spiegelt die Angst eines Künstlers wieder, seine Inspiration am Leben zu erhalten. Die Vagina symbolisiert die Fruchtbarkeitswiege, aus der Gedanken und Gefühle zu Visionen der inneren Wirklichkeit werden, während der Phallus das Werkzeug zur Übertragung dieser an die Kunst ist. Während in Horst Janssens exzentrischer erotischer Grafik der Eros mit Tod und Drama verbunden ist, verbindet Ludwig den Eros mit Leben, Wiedergeburt und Inspiration. Ludwig kopiert nicht wie Janssen die Realität. Sein Werk projiziert Emotionen, Sehnsüchte und Gedanken, die sorgfältig unter dem menschlichen Fleisch verborgen sind. Für ihn ist jede Reproduktion der Wirklichkeit einfach eine Kopie. 

4-2 Egon Schiele, Eros, 1911. Kreide, Gouache, Aquarell auf Papier. 55,9 x 45,7 cm. Privatsammlung, Melbourne, Australien. Fotoquelle: Wikimedia

Video I, II, III

Frauen als künstlerische Vorbilder, Dichterinnen, Schriftstellerinnen, Geliebte, philosophische oder literarische Wegbegleiterinnen oder Künstlerkolleginnen waren für Ludwig eine ständige Inspiration. Ob die Inspiration in "Liebe geht durch die Haut" einer realen erotischen Partnerin hinterliegt, oder durch sexuelle Phantasien oder die Erinnerung an erotische Momente hervorgerufen wurde, soll unbekannt verbleiben.

 

5-1 Günter Ludwig, Video I, radierung. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/© Günter Ludwig

Die drei in dieser Publikation enthaltenen Stiche mit dem Titel "Video I,II,III" werden als erotische Video-Storyboards behandelt. Sie offenbaren das Bedürfnis, Lebenserfahrungen mit weiblichen Figuren als Teil von Erinnerungen oder Fantasien mental und psychologisch zu kontrollieren. Jedes Storyboard unterscheidet sich von den anderen durch die Anzahl jeder Szene und den Raum. Einige dieser Szenen erinnern an Goyas Skizzen zu "Ma Maja" (Abb. 5-4) und seine Serie "Los Caprichos", insbesondere die Szene mit der nackten und ihren Strumpf dehnenden Figur (Abb. 5-5). So wie Goya versuchte, eine Geschichte jenseits des Offensichtlichen darzustellen, so tut dies auch Ludwig in seinen Radierungen (5-1), die für mehrere Interpretationen offen sind. Die Einführung der kleinen abstrakten Figur in diesen (Abb. 5-1), aber auch in einigen Zeichnungen (Abb. 5-4,5-5) lässt zahlreiche Interpretationen zu, die von den Kindheitserinnerungen des Künstlers bis zu jüngeren Erinnerungen und Fantasien reichen.

Ludwig wählte für diese Serie ein Thema, das sich auf das universelle Streben nach Liebe in uns selbst und in anderen bezieht. Indem er in sein Unterbewusstsein "eintaucht", fordert er den Betrachter auf, den Wert von Worten und Bildern durch gemeinsame Erfahrungen wieder zu integrieren.

5-2 Günter Ludwig, Video II, Radierung. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig 

5-3 Francisco Goya, Zeichnungen aus Album A, Los caprichos, 1796. Fotoquelle: Wikimedia

5-4, 5-5 Zeichnungen. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig

5-6 Günter Ludwig, Video II, Radierung. Foto mit freundlicher Genehmigung des Künstlers/ © Günter Ludwig 5-7 Francisco de Goya, The nude Maja,  1800. Oil on canvas,  98 x 191 cm. Museo del Prado, Madrid, Spain. Photo source: Wikipedia


DIESE SEITE TEILEN

#athinas

Werden Sie Teil des Athina-Teams! Teilen Sie Ihre Arbeit, Ihren Enthusiasmus und Ihre Meinung in der bildenden Kunst.

de_DEDE