Druckgrafik,  Bildende Kunst

Günter Ludwig: Könnten transhumane Engel uns aus dem ewigen Menschheitstrauma führen?

In seinem aktuellen Katalog durchdringt Günter Ludwig die gegenwärtige Ära des Transhumanismus. Er befürwortet die Notwendigkeit menschlicher Verbesserungen, die sich aus Wissenschaft und Technologie ergeben, um körperliche und geistige Einschränkungen zu überwinden, setzt aber auch Grenzen.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich Ludwig 2019 in seinem Atelier besuchte. Wir hatten eine lange Diskussion über sein aktuelles Werk, die bis heute andauert. Fasziniert von der philosophischen Bewegung des Transhumanismus arbeitete er bereits an der Darstellung seiner Vision einer Transhumanität, die frei von ethischen Beschränkungen und religiöser Moral ist. Der Mensch hat das Recht, sich mit einer klaren Vorstellung weiter zu entwickeln und Fähigkeiten zu erreichen, die ihn über seine gegenwärtigen physischen und mentalen Grenzen hinaus führen.

Ausgehend von der antiken griechischen Mythologie bezeichnet Platon die menschliche Schöpfung als völlige Katastrophe. Zeus, Vater aller Götter, vertraute den Titanen Epimetheus (dem "Nachdenker") und Prometheus (dem "Vordenker") die Verteilung von Eigenschaften auf alle neu geschaffenen Spezies an. Als der Mensch als letzte aller Spezies an der Reihe war, ein positives Merkmal zu erhalten, hatte Epimetheus keines mehr zu bieten. In einem Akt der Güte stahl Prometheus die Kreativität und das Feuer Gottes für die Menschheit. Zeus forderte die Rücknahme dieser Aktion, was Prometheus ablehnte. Für diese Lästerung gegen die höhere Macht wurde er auf einen felsigen Berg verbannt und zu lebenslangem Leiden verurteilt.

Was Platon beschreibt, offenbart eine traurige Wahrheit über die Geburt der Menschheit. Unsere Existenz war nie ein Akt der Güte, der Liebe und des Altruismus seitens unseres Schöpfers. Seit seiner Anwesenheit trägt der Mensch unter anderen Lebewesen das Stigma der Minderwertigkeit, was ihn dazu bringt, sich wie ein verstoßenes "Kind" zu verhalten. Er geht rücksichtslos mit seiner Umwelt um, verschmutzt und brennt den Planeten nieder, tötet und terrorisiert andere Lebewesen, sogar andere Menschen. Indem er sein psychologisches Trauma offenbart, lässt er seinen Zorn verstummen und schreit zutiefst nach Hilfe bei der Verkündigung seiner Rolle und Position unter den Schöpfungen seines "Vaters".

An diesem Punkt setzt Ludwig die Grenzen der Evolution der modernen Menschheit, indem er seine transhumanen Engel einführt. Prometheus stahl von der Göttin Athene die Kreativität (Wissenschaft) und von Hephaistos das Feuer (Technik), laut Transhumanismus die Kernwerte der menschlichen Entwicklung. In Anbetracht der wissenschaftlichen Fortschritt in der Humanbiologie visualisiert Ludwig die Erschaffung einer neuen Spezies durch den Menschen: den transhumanen Engel. Seine Engel sehen erstaunlich sozial, schön und freundlich aus, umgeben von einem Schleier aus blendendem Licht. Indem er sie als menschliche Schöpfungen vorstellt, bestreitet Ludwig die Wurzeln des Transhumanismus als unzureichend. Er behauptet, Fortschritt und Rationalität seien unzureichend für die Aufklärung der Menschheit.

Die transhumane Ära des 21. Jahrhunderts ist noch immer von religiösen Hintergründen, Wut und dem Minderwertigkeitskomplex der Menschen gegenüber ihrem Schöpfer geprägt. Getrieben von anhaltender emotionaler Instabilität, die aus einer zutiefst problematischen "Vater-Kind"-Beziehung resultiert, versuchen die Menschen, ihrem "Vater" näher zu kommen, ihm ähnlich zu sein oder ihn sogar zu übertreffen. Für Günter Ludwig sind die transhumanen Engel Spiegelbilder ihres Schöpfers, aber auch Boten der menschlichen Katastrophe.

In Franz Kafkas Novelle "Die Verwandlung" dient Gregor sein ganzes Leben lang bedingungslos seiner Familie, bis er sich allmählich in ein "monströses Ungeziefer" verwandelt. Für Ludwig trägt jeder Akt des Erreichens unseres Schöpfers noch immer unser psychologisches Trauma in sich. Es ist ein Schritt tiefer in unsere autistische Abgeschiedenheit und Selbstzerstörung. Der moderne Mensch kann nicht begreifen, dass er die Metamorphose zu seinem "Vater" um so weniger begreifen kann, je näher er ihm geistig und körperlich zu kommen versucht. Jede körperliche und geistige Evolution, die nicht mit einer psychischen Entwicklung einhergeht oder keine Antworten auf aufgestaute existenzielle Sorgen der Menschheit liefert, ist zum Scheitern verurteilt. Hinter ihren engelsgleichen Gesichtern verbergen Ludwigs Engel den gleichen emotionslosen, distanzierten Charakter wie ihr Schöpfer und dessen "Vater". 

Solange Aufklärung feierlich auf Fortschritt und Rationalität beruht und die Heilung des psychologischen Traumas der Menschheit ausschließt, ist die Gefahr nicht auszuschließen, dass Menschen ihre Identität verlieren.

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